Das alte Pädagoge
Das alte Pädagoge
 

Hier finden Sie mich

Elisabeth Zarow

Kunstbauernhof Bucha e.V.

Straße der Einheit 17

04758 Cavertitz OT Bucha

Kontakt

Rufen Sie einfach an unter Nutzung von

 

Buschtrommel oder durch Klopfzeichen Buschtrommel oder durch Klopfzeichen

 

oder nutzen Sie mein Kontaktformular.

Platons Welten

 

 

 

Eine Philosophische Reise nach Tolo auf der Peloponnes
mit Dr. Peter Vollbrecht

 

 

 

Samstag, 12. April 2003

 

Ein Häusermeer kündigt die Ankunft in Athen an. Flaches Land, doch der Eindruck täuscht, denn Stufen zwischen den Start- und Landebahnen täuschen die Ebene nur vor. Es ist 14:50 Uhr. Ein kleiner Bus mit 25 Sitzplätzen wartet vor dem Flughafen. Hinter der Windschutzscheibe das Hinweisschild „Reisemarkt Henning“. Davor hatte uns Dr. Vollbrecht empfangen, er hielt das Skript mit dem Bild Platons hoch.

Die Fahrt führt über den neuen Autobahnring durch eine Betonwüste. Olivenhaine mit „Frauenbäumen“[1] dazwischen, wie abgestorben, kahle Weiden. Der griechische Busfahrer raucht, leise erklingt vertraute Musik aus dem Radio. Alte Neubauten stehen am Rand der Autobahn, sind längst zur Ruine geworden. Auf den Dächern riesige Werbetafeln, umringt von einem Wald aus Antennen. Dazwischen trocknet Wäsche auf der Leine.

Palmen zwischen abgewrackten Autos – nicht Autos zwischen Palmen. Dann haben wir Athen verlassen.

Die Mautstraße führt an der Küste, vorbei am Schiffsfriedhof, zum Kanal von Korinth, flugs ist er überquert – unser erster Stop auf der Peloponnes steht auf dem Plan. Auf der Fahrt entlang von Athen und Pireas hatte Herr Dr. Vollbrecht bereits zwei kurze Vorträge gehalten, wir sind in der Welt von Sokrates und Platon. Nun stehen wir auf der Brücke, tief unter uns zwängt sich ein Schiff durch den schmalen Durchbruch.

Flink werden Tische zusammengerückt, 15 Personen sitzen in der Runde. Vorsichtig macht man sich bekannt, die nächsten Tage werden wir uns kennen lernen, eventuell auch die Eigenheiten des anderen, uns dann wieder aus den Augen verlieren?

Dann geht die Fahrt Richtung Argos weiter. Leuchtend gelbe Früchte ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Zitronenbäume reich mit Früchten beladen stehen in den Vorgärten, Orangenplantagen lösen die Olivenhaine ab.  In Tolo angekommen, fahren wir zunächst zum Hotel Minoa, da Dr. Vollbrecht nicht bekannt ist, wo sich das Hotel Apollon befindet, in das wir kurzfristig umquartiert worden waren. Im Hotel Apollon ziehen wir aus einem bunten Durcheinander die Zimmerschlüssel, der Zufall entscheidet, ob das Zimmer zum Hang oder zum Pool zeigt.

Wir bekommen ein Abendbüfett im Hotel angeboten, eine italienische Reisegruppe hatte es bestellt, wir durften an der offenen Küche partizipieren. Abendbüfett, die Küche des Landes versickert in der Bain-marie, überladene Teller stehen verwaist auf verlassenen Tischen. Der Strand lockt, die Lichter der Nacht spiegeln sich im glatten Meer.

 

 

Sonntag, 13. April 03 

 

War am Abend zuvor von Dr. Vollbrecht „nur“ das Seminar kurz vorgestellt worden, so folgt an diesem Tag der Einstieg über das Höhlengleichnis. Nach dem Frühstück treffen wir uns also, um gemeinsam am Strand entlang zum Hotel Minoa zu pilgern, die Dachterrasse im 3. Stock hat Herr Dr. Vollbrecht zu unserem „Seminarraum“ auserkoren. Ein letztes Verschnaufen, während emsige Hände geübt den Schrubber in großzügigen Bögen über die Fliesen der Terrasse führen, das Wasser der Eimer reicht noch, um die Stühle feucht abzuwischen, die Sonne trocknet alles im nu. Sorgfältig werden die Stühle nochmals trocken gerieben, im Kreis aufgestellt, halb im schützenden Schatten, halb in der wärmenden Sonne.

Es fällt schwer den Blick von der Bucht zu lösen, das Seminar beginnt. Die Diskussion kommt stockend in Gang und doch, die Zeit verfliegt, unbemerkt sind die ersten Stunden vergangen. Wir haben unsere Auslegung des Höhlengleichnisses gefunden. Und jeder ein wenig seine eigene bevorzugte Theorie entwickelt, der eine leise schweigend, der andere mit überzeugter Stimme, der nächste staunend lauschend.

Als wir zur Mittagszeit zum Hotel Apollon  zurückkehren, beginnt das erste Abenteuer: die Busfahrt nach Nafplio. Im Hotel hatte Herr Dr. Vollbrecht die Auskunft erhalten, dass der Bus nach Nafplio jeweils um viertel nach fährt, die Bushaltestelle könne nicht verfehlt werden. Doch gerade diese einfache Aufgabe bereitete den Köpfen die größten Probleme. Es ist wohl mehr zufällig, dass das Schild mit den Busfahrzeiten, jeweils um halb, gefunden wird, zu auffällig steht es am Straßenrand neben der Treppe, die direkt gegenüber der Hotelzufahrt zum Strand führt. Der Fahrplan war vor langer Zeit für die Ewigkeit aufgestellt worden, die weißen Buchstaben auf dem blauen Hintergrund leuchteten hell. Die Knitter und Falten, der Rost, wo die blaue Hintergrundfarbe abgesprungen war, verleihen Würde und verraten das Alter der großen Tafel. Doch die Bushaltestelle war noch nicht gefunden. Es war bereits kurz vor halb zwei, als endlich, schräg gegenüber vom Fahrplan, auf der anderen Straßenseite im verborgenen, das blaue Schild der Bushaltestelle entdeckt wurde. Und dann kam der Bus. Pünktlich um 13:30 Uhr. Dr. Vollbrecht löste für uns alle die Fahrt nach Nafplio.

Die Fahrt ging zunächst Richtung Hotel Minoa, suchend sah der Busfahrer immer wieder in seinen Rückspiegel. An der Haltestelle des Hotel Minoa stand er auf, musterte kritisch seine Fahrgäste, dann fuhr er weiter. Und immer wieder der prüfende Blick in den Rückspiegel, während die Fahrt durch Tolo weiter ging. Plötzlich hielt der Busfahrer an, stand auf und ging zu Dr. Vollbrecht, er wollte nochmals die Fahrscheine überprüfen, sorgfältig zählte er die einzelnen Abschnitte nach: Ein Fahrgast spielte blinden Passagier. Dr. Vollbrecht hatte beim lösen der Fahrkarten nur die Teilnehmer gezählt, sich selbst hatte er beim Abzählen vergessen. Es wurde nachgelöst, endlich konnte der Busfahrer seine Aufmerksamkeit wieder der Straße und den anderen Fahrgästen widmen.

Nafplio, der erste Besuch steht ganz im Zeichen der Festung Palamidi. Die meisten Teilnehmer des Seminars machen sich auf, die zahlreichen Stufen, mal sind es 750, mal 850 oder gar 857, je nach Reiseführer, auf den Kamm des Felsberges Palamidi, bis hin zum Tor mit dem Venezianischen Löwen, mühsam zu bezwingen. Der überwältigenden Blick über die alte Hafenstadt belohnt die Anstrengung.

Am frühen Abend trifft sich die Runde wieder auf der Sonnenterrasse des Minoa, wir werden mit der Sokratischen Dialektik konfrontiert und lesen aus dem Menon: Sokrates versetzt die Gesprächsteilnehmer in Ratlosigkeit „denn mitnichten bin ich selbst wohl beraten, wenn ich andere ratlos mache; sondern nur weil ich selbst über alles ratlos bin, mache ich auch andere so ratlos.“ Und weil es so gut passt, diskutieren wir anschließend noch den Text aus dem Georgias: was ist die Rethorik?

Und wie am Vormittag verrinnt die Zeit über die gesprochenen Worte. Auf dem Rückweg vom Hotel Minoa wird eine Taverne am Strand erobert – wir schlemmen in Fisch. Als wir die Taverne endlich verlassen, stehen die Sterne am Himmel, die Insel Tolo mit der kleinen Kapelle ist romantisch beleuchtet.

 

Montag, 14. April 03

 

Die Sonnenterrasse des Minoa hört die Verteidigungsrede des Sokrates aus der Apologie, wir lauschen dem Vortrag von Dr. Vollbrecht, doch fehlt uns das rechte Verständnis, die Verteidigungsrede als Verteidigungsrede zu akzeptieren – doch wollte sich Sokrates wirklich verteidigen? Und wieder wurde diskutiert, mal vernehmlich, mal leise bis schweigend, doch alle waren bei der Sache.

Wir hatten es ja bereits am Vortag geübt, an diesem Tag fuhren wir mit dem Bus nach Mykene. Tolo - Nafplio, umsteigen, Nafplio - Mykene, der Linienbus hält vor den Toren der Akropolis von Mykene.

Dr. Vollbrecht muss nun unser Reiseführer sein, er zeigt uns die Zyklopenmauer und das eindrucksvolle Löwentor. Am Rand des Rund der königlichen Gräber erschließt sich der Blick ins Tal bis hin zum Argolischen Golf. Von weiter oben, dem Megaron, blickt man auf die argolische Ebene. Herodot berichtet: Hier in der nördlichsten Ecke, „im Winkel des Rosse nährenden Argos“ wurde die Akropolis von Mykene errichtet, von der aus die Mykener den größten Teil der Ebene sowie den damals wichtigsten Zugang, über den Pass von Dervenakia, kontrollieren konnten.

Perseus, ein Sohn des Zeus und der Danae, soll der Gründer von Mykene gewesen sein.

Die Zeit reicht gerade noch, um das Schatzhaus des Atreus zu besichtigen, dann erwarten wir auch schon den Linienbus, der uns zurück nach Nafplio bringen soll. Und der Bus fuhr uns sogar noch weiter, nachdem fast die ganze Gruppe ausgestiegen war, verriet er in Nafplio sein nächstes Ziel, es war Tolo. So fuhren wir also für 1,90 Euro von Mykene nach Nafplio und für 95 Cent von Nafplio nach Tolo, ohne umsteigen zu müssen. In Tolo, an unserer Haltestelle angekommen, lernten wir dann auch, dass man läuten muss, will man an der Haltestelle aussteigen, ansonsten fährt der Bus ungeachtet dessen, dass man aufgestanden ist, weiter.

Die nächste Seminarstunde wartet, und da das Wetter unwirsch den Wind über Tolo sein wildes Spiel spielen lässt, findet die nächste Diskussionsrunde in der Lobby des King Minos über den Dächern von Tolo statt: Sokrates über das Sterben, aus dem Phaidon. Wir hören die Freude von Sokrates über sein Sterben, denn: die wahre Erkenntnis ist in diesem Leben nicht möglich.

Am Abend stürmen wir wieder die Taverne vom Vorabend, die große Runde ist fröhlich. Die Gespräche der Diskussion werden da und dort fortgesetzt.

 

 

Dienstag, 15. April 03

 

Wind tobt über die Bucht. Im Minoa erhält Dr. Vollbrecht die Auskunft, dass die Bootsfahrt am Abend nach Nafplio wegen des heftigen Windes ausfallen muss. Wir sitzen während des Seminars am Vormittag auf der Dachterrasse in der Sonne, zuweilen zerzaust der Wind die Haare, spielt mit den Kopfbedeckungen. Doch zu stürmisch für eine Bootsfahrt?

Notiz: Die Uhrzeit auf dem Foto ist nicht um eine weitere Stunde vorgestellt.Das Thema des Morgens lässt uns Sokrates, den Kapitän der Maria vergessen, Sokrates, der Philosoph konfrontiert uns mit: das Liniengleichnis, Lernen heißt Wiedererinnern, aus dem Menon. Und wieder legt Platon ein beeindruckendes Zeugnis von der Beredsamkeit des Sokrates nieder. Wir haben Mitleid mit dem Sklaven. Und wie am Vorabend kreist die Diskussion darum, wann beginnt der Mensch zu leben, zu empfinden, ab wann ist er für Eindrücke empfänglich? Geschickt werden wir wieder auf das Thema „Lernen heißt Wiedererinnern“ zurückgeführt – die Gemüter sind erhitzt.

Die Bootsfahrt vom Wind vom Tagesplan geweht, doch noch hoffen wir, dass Sokrates, der Kapitän, uns die Freude der Bootsfahrt nicht abschlägt, das Meer so azurblau, die Sonne strahlt am Himmel.

Die Nachmittagsdiskussion ist vorgezogen, wir beginnen bereits um 15 Uhr. Vom Kapitän der Maria ist leider immer noch kein positiver Bescheid zu erhalten.

So stürzen wir uns in den Text aus dem Phaidon: Lernen heißt Wiedererinnern. Und wie Simmias wird uns beim zuhören schwindlig: Kopfüber stürzen wir, wie ein Ertrinkender, in den Strudel der Worte, die Sokrates findet, um uns davon zu überzeugen, dass die Erkenntnis, und damit all unser Wissen, in der Seele wohnt und bereits vor unserem Körper vorhanden war. Was meint Nietzsche dazu?

Nach diesem Tag des Wiedererinnerns haben wir uns einen Bummel und ein Abendessen in Nafplio wohl verdient, auch wenn die beabsichtigte Bootsfahrt auf den nächsten Tag verschoben werden musste. Und wir wussten auch schon, wohin wir uns auf die Suche nach einem gedeckten Tisch machen wollen: in die Odós Staikopoúlou, eine enge Gasse in Nafplio, Taverne an Taverne, mit Tischen und Stühlen vor der Tür, am Sonntag von Athenern gut besucht. Wir fahren mit dem Bus nach Nafplio, besuchen das Komboloi-Museum – und erwerben natürlich auch eines. Streifen noch durch die malerische Hafenstadt, der Platía Syntágmatos ist der Treffpunkt, bevor wir uns auf die Suche nach einer Taverne machen. Jeder wirbt mit seiner Küche, welche die beste ist. Tische werden für uns zusammen gerückt, Gäste müssen ausweichen, damit wir schlemmen können. Wie immer eine fröhliche Runde. Der Abend soll noch nicht so schnell enden, wir steuern zum Abschluss des Tages noch eine Bar an. Taxis bringen uns zurück zum Hotel.

 

 

Mittwoch, 16. April 03

 

Der unermüdliche Wind des Vortages hat dunkle Wolken gebracht, doch unverdrossen findet auch heute die Diskussionsrunde auf dem Sonnendach des Minoa statt. Heute das Thema: Der Eros aus dem Symposium. Die Gemüter erhitzen sich an der homosexuellen Liebe zwischen Knaben und erwachsenen Männern.

Auch an diesem Tag treffen wir uns früher für die Nachmittagsrunde, wir haben die Hoffnung auf die Bootsfahrt nicht aufgegeben, die Maria wird von ihrem Liegeplatz an den „Landungssteg“ verlegt. Und Sokrates berichtet, dass es in der vergangenen Woche ein Unglück gegeben hat, daher müssen zur Zeit alle Boote spätestens um 21:30 Uhr den Hafen von Nafplio verlassen haben, sonst dürfen sie nicht mehr auslaufen. Wir sind zuversichtlich, dass am Abend die Bootsfahrt gelingen wird. Doch zunächst zur Philosophie.

Wir hören die Warnung von Platon, seine Ideenlehre schriftlich festzuhalten: Von der Profanierung der höheren Wahrheiten durch Schriften. Welches Recht hatte dann Platon die Ideenlehre von Sokrates zu „verschriftlichen“?  Damit wir nicht gar zu untröstlich sind, hören wir noch: Alle Kunst ist nur Nachahmung und damit Abbild dritten Grades aus der Politeia.

Und dann kapern wir die Maria, geschickt steuert unsre Steuerfrau, Frau Raethe, das Boot durch die Brandung, während Sokrates darüber wacht. Ob der „Schiffsjunge“ wohl Platon heißt?

Immer die Wellen brechend geht es entlang der Küste – Maler müsste man sein. Die Fotografien können nur das Bild aufs Papier bannen, doch nicht den Wind, die Gedanken, die Empfindungen. Unvergesslich.

Das Farbenspiel der Küstenlandschaft prägt sich ein, Salz auf den Lippen von der Gischt. Die Bootsfahrt ist viel zu schnell vorbei, auch wenn der Seeweg über eine Stunde beanspruchte. Die vielen Fotografien zeugen von der Faszination. Zu schnell ist der Hafen von Nafplio erreicht, der Gefährte von Sokrates reicht uns die Hand, damit wir das Boot verlassen können. Das Abendessen ist zur Nebensache geworden.

In der Dämmerung kehren wir nach unserem Mal in der Odós Staikopoúlou zurück zur Maria, Sokrates gibt auf der Rückfahrt nach Tolo das Ruder nicht aus der Hand.

 

 

Donnerstag, 17. April 03

 

Früh aufstehen! Um 8 Uhr wartet der gecharterte Bus, um uns nach Delphi zu fahren. In Río setzen wir über das graue Meer, zur Rechten der Golf von Korinth, zur Linken der Golf von Patras. Es ist grau und windig, wen der Götter haben wir erzürnt? Doch auch wenn es trüb ist, die Landschaft nimmt mich immer wieder gefangen. Der Busfahrer drängt vorwärts, Dr. Vollbrecht trägt vor.

Wir verlassen die Küste, enge Serpentinen lassen uns schnell die Anhöhe erklimmen, der Bus fährt durch die engen Gassen von Delphi, viele Busse sind der eindeutige Beweis, dass wir am Eingang zum Heiligtum sind. Mühsam ist es, den Eingang zu finden, wird man in die Irre geleitet. Doch dann sind wir, mit einem Führer von Delphi in der Hand auf der Heiligenstraße, stehen, nachdem wir das Schatzhaus der Athener passiert haben, vor dem Fels der Sybil, was sie uns zu weissagen vermag?

Auch wenn in Delphi allenthalben Erhaltungsarbeiten und Rekonstruktionsarbeiten in Gang sind, der Eindruck ist überwältigend, die unendlich vielen Bilder die auf das Auge einströmen, zeugen davon.

Und während man langsam auf der alten Straße Richtung Stadion pilgert, erschließen sich immer neue Blicke auf das Theater und den großen Tempel des Apollon. Alle kamen hier her, um sich vom Orakel weissagen zu lassen, nicht nur die Athener, auch Kaiser Hadrian sah vorbei. Doch zu viele Herrscher bereicherten sich an den Schätzen Delphis doch für Kaiser Julian (360-363 n.Chr.) ertönte der folgende Orakelspruch:

Sagt es dem Herrscher: zerstört ist die kunstgesegnete Stätte;

Phoibos hat keine Heimstatt mehr und keinen prophetischen Lorbeer;

Nicht mehr dient ihm die Quelle, verstummt ist das murmelnde Wasser.

 

 

Freitag, 18. April 03

Es regnet. Bereits am Abend hatten erste Regentropfen die Windschutzscheibe unseres Busses getroffen, nun regnet es. Immer wieder Blicke zum Himmel. Zum Seminar bleiben wir im Hotel Apollon. „Das Gute ist die höchste der Ideen. Das Sonnengleichnis und das Liniengleichnis aus der Politeia“ Platon begründet: wie die Sonne als Urquell allen Lichtes das Sehen ermöglicht, so ermöglicht das Gute alle Erkenntnis. Doch was ist „gut“, was ist „schlecht“? Welche Sicht der Dinge wird von uns gefordert?

Der Regen hat sich noch nicht gelegt, der Himmel reißt auf, im nächsten Augenblick ist alles wieder verhangen. Wir hoffen auf besseres Wetter, es ist unser letzter Tag in Tolo, wir wollen nach Epidauros. Die letzte Möglichkeit mit dem Linienbus zu fahren ist 14 Uhr ab Nafplio.

Wir setzen das Seminar fort, hören von Dr. Vollbrecht den Text aus der Politeia: „Was ist Gerechtigkeit?“ Die Diskussion will sich an diesem Tag nicht recht entspinnen, werden die Gedanken vom Regen ins Meer gespült?

Dann reißt der Himmel wirklich auf. Wir werden mit dem 13:30 Uhr Bus nach Nafplio fahren. Die Luft ist klar, zeitig stehen wir an der Haltestelle – und dann kommt der Bus zu früh, doch es sind noch nicht alle am Busstop versammelt! Frau Raethe gelingt es, den Busfahrer davon zu überzeugen, dass er noch kurz wartet – und er wartet. Mit dem Linienbus fahren, darin haben wir inzwischen Routine – es hat einen ganz eigenen Reiz, denn man ist dabei, nicht der distanzierte Tourist. Der Mann, der die Fahrscheine verkauft ist uns längst von Angesicht bekannt, bei den Busfahrern treffen wir immer wieder auf neue Gesichter. Man steigt ein, ohne zu bezahlen und dann, irgendwann und wo, oft abseits einer Bushaltestelle, stoppt der Bus kurz, dann steigt der Schaffner ein, beginnt mit dem Kassieren. Ist er fertig, steigt er wieder aus, wechselt zur nächsten Linie. Doch auf der Fahrt nach Epidauros steigt der Schaffner erst sehr spät zu, der Busfahrer scheint ungehalten, der Bus brechend voll.

Wir pilgern zum Theater, 12.300 Besucher konnte das Theater im zweiten Jahrhundert v.Chr. fassen. Der Mittelpunkt des Orchestra ist gekennzeichnet: Dr. Vollbrecht gab uns einen beeindruckenden Beweis der Akustik. Ob man damals bereits über ein Opernglas verfügte? Ein Hörgerät war jedenfalls nicht notwendig. Auch wenn der Text der Darbietung bereits entfallen ist, der Eindruck ist haften geblieben. Und so war es nicht mehr als gerecht, dass Dr. Vollbrecht für all seine Mühe der so schnell vergangenen Woche  einen Lorbeerkranz überreicht bekam.

Im Museum von Epidauros besichtigen wir medizinische Gerätschaften, es sollen sogar damals schon Operationen am Kopf vorgenommen worden sein! Die Besichtigung der medizinischen Instrumente erfolgt nicht ohne Schaudern, wie wohl die Narkose ausgeführt wurde?

Das Museum schließt, wir müssen an die Bushaltestelle, leichter Nieselregen setzt ein, doch rentiert es sich nicht, den Schirm aufzuspannen, wenn man einen hätte.

In Nafplio angekommen, machen wir noch einen letzten Bummel durch die Stadt und dann sehen wir noch einmal ganz kurz, nur für ein Foto, in Láthos Bar in der Odos Vas. Dort hatten wir am Dienstag gesessen. Abschiednehmen von Nafplio, ein letzter Kaffee auf der Platía Syntagmátos, die Woche war schnell vorbei.

 

Im Hintergrund die Festung Palamidi, am Ende des Platzes die türkische Moschee, heute Konzertsaal und Kino:
Alliodidakatério

 

 

 

 

 

Ein Platz zum Träumen, ausruhen, die Seele baumeln lassen:
Platía Syntagmátos.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Láthos Bar in der Odos Vas. Diese Bar soll eine der originellsten von Griechenland sein.

 

 

 

 

Ein Blick bei Tageslicht in

Láthos Bar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Blick über Nafplio von der Festung Palamidi aus.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Festung Boúrtzi

 

 

 

Samstag, 19. April 03

 

Heimreise. Das Hotelzimmer verlassen, ein letztes Frühstück vom Büfett. Der Bus mit dem Schild „Reisemarkt Hennig“ wartet. Das Gepäck wird verstaut, auch wenn es dem Busfahrer nicht recht gelingen will – die Staufläche meines Busses, die unbekannte Möglichkeit - die letzten Gepäckstücke reisen als Passagier auf der hinteren Bank des Busses.

Zögernd vorsichtig nähern wir uns Athen: PKW, LKW und Busse ziehen zügig an uns vorbei. Die Fahrt zur Akropolis von Athen zieht sich dahin, doch dann ist es geschafft. Ein letztes Mal ist die Gruppe vollständig beisammen, vereint stehen wir in der Schlange um den Eintritt zur Akropolis zu lösen. Ein mächtiges Areal, doch die umgebende Betonwüste erdrückt den Gesamteindruck.

Oben auf der Akropolis angekommen, muss ein Blick auf den Parthenon fast erkämpft werden, Menschenmassen wälzen über die steinernen Stufen. Menschenmassen, Sprachenvielfalt, es fehlt der Zauber von Delphi. Es fehlt die Ruhe von Epidauros. In der Absperrung, fern der vielen Füße, dösen drei Katzen, warten auf die Nacht, wenn sie ungestört auf Jagd gehen können.

Wie unberührt auch das Erechtheion, denn es ist für Restaurationsarbeiten weiträumig abgesperrt.

Nur kurz können wir durch das Museum auf der Akropolis eilen, wir müssen wieder zurück zum Bus, damit er uns zeitig zum Flughafen bringen kann. Und dann müssen wir uns auch verabschieden, denn Herr Dr. Vollbrecht und Frau Aaltonen trennen sich bereits hier von uns. So verlassen wir bald die Akropolis, die uns entgegendrängende Menschenmenge ist dichter geworden, jeder Zoll des Rückweges muss geduldig erkämpft werden. Noch ein Blick über das Theater zur Stadt, dann sind wir wieder unten am Bus. Mit dem Abschied von Dr. Vollbrecht kehrt Schweigen ein.

Unser Busfahrer stellt sich beim Stau hinten an, die Zeit verrinnt, ohne dass wir uns dem Flughafen sichtlich nähern. Immer wieder unsichere Blicke auf die Uhr, neidische Blicke auf vorbeiziehende Autos – wir stehen am Ende der Schlange.

Dann ist es geschafft, mühsam werden dem Busfahrer auch noch die letzten Gepäckstücke abge(w)rungen, er hat vergessen, wo er sie ursprünglich verstaute. Dann ist das Gepäck aufgegeben, wir haben den Check-in passiert, in wenigen Minuten sollte die Boarding-Time beginnen, doch es verzögert sich und so bleibt Zeit, sich nochmals die vergangenen Tage zu vergegenwärtigen, auch den letzten Tag.

Und ganz zum Abschluss, kurz bevor wir die Akropolis von Athen erreichten, spannte Dr. Vollbrecht den Bogen von der griechischen zur römischen Philosophie: wir hörten von Epikur, vom Baumeister Dädalus mit seinem geliebten, aber übermütigen, Sohn Ikarus und von Seneca. Seneca fand die passenden Worte:

In drei Zeitspannen zerfällt das Leben, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Davon ist die Zeit, die wir gerade durchleben, vergänglich, die, die wir noch zu leben haben, ungewiss und nur die, die wir durchlebt haben, uns sicher. Sie ist es nämlich, über die das Schicksal seine Macht verloren hat, die nie wieder in jemands Ermessen gestellt werden kann.[2]

 

 

 

 

Eine Episode zum Schluss:

 

Wir sitzen beim Frühstück, am Nachbartisch 4 Teilnehmer einer Studiosus Reise, Reiseerfahrungen werden ausgetauscht, wer hat bereits die meisten Länder bereist? Plötzlich kehrt Stille ein, Stille wie vor dem Sturm und eine Tischgefährtin, die sich bisher noch wenig äußerte, wird gefragt: „Und welches arabische Land haben Sie bereits besucht?“ Kurzes Schweigen, dann wie ein Freischlag: „Tunesien“. Lähmendes Schweigen liegt über dem Tisch, die Gefragte wird unsicher, schämt sich ihrer unüberlegten Antwort und versucht errötend zu korrigieren: „Ach, Entschuldigung – natürlich, Tunesien ist ja in Nordafrika.“ Das Gespräch am Nachbartisch ist zum erliegen gekommen, die Tafel wird rasch aufgehoben – doch wer war wirklich der unkundige?

 

[1] Olivenbäume werden bis zu 1.500 Jahre alt. Auf Thassos werden die Olivenbäume, die noch keine 150 Jahre alt sind und daher von Frauen ohne Hilfe einer Leiter geerntet werden können, als Frauenbäume bezeichnet.

[2] Dreifach ist der Schritt der Zeit... aus: die Kürze des Lebens 10

 

 

Druckversion | Sitemap
Copyright Elisabeth Zarow